Auf was habe ich mich da nur eingelassen, drei absolute Laien zum Segeln mitzunehmen? Ich muss verrückt geworden sein. Schon bei der Vorbesprechung ging es eigentlich nur übers Kochen, Essen und Trinken. Halt nein, noch ein Thema war groß im Kurs. Mittel gegen Seekrankheit und ihre Wirkung. Und dann noch die Namen. Angelika, Andrea, Andreas. Da komme ich in der ersten Stress-Situation garantiert durcheinander. Vielleicht sollte ich sie in eins, zwei, drei umtaufen. Aber wer ist dann eins, wer zwei, wer drei?

Wie üblich bin ich bereits einen Tag vor der Crew angereist. Es gibt ja immer viel zu klären und diverse Vorbereitungen sind zu treffen.

Verspätung!

Meine Sorgen und mein Gefühlszustand verbessern sich auch nicht, als der Flieger eine dreiviertel Stunde Verspätung hat. Einzig der Fahrer, der mich von Antalya nach Kaş bringt, sorgt für kurzzeitige Aufheiterungen. Als er mit Vollgas durch die Stadt rast und die fünfte rote Ampel überfuhr musste ich dann doch schmunzeln. Die Flugverspätung hat er locker wieder Wett gemacht und sein Trinkgeld redlich verdient.

Kas Marina bei Nacht

Der absolute Schlag ins Gesicht kam aber erst noch, als mir am nächsten Morgen so richtig bewusst wurde, dass der neue Jahresvertrag für meinen Bootsplatz das Dreifache kosten soll. Eine unverschämte, fast schon kriminelle Preissteigerung, die selbst die Inflation in der Türkei bei weitem nicht wettmachen konnte.

Auch wenn ich mir nichts anmerken lassen wollte, war mir mein Gefühlszustand wohl anzusehen, als die Crew am Freitagabend eintraf.

Es ist immer lustig mit anzusehen, wenn Neulinge das erste Mal über die Passarella aufs Schiff balancieren. Dem Abgrund so nahe! Nach einer kurzen Einweisung und Verteilung der Kojen, ging es zum Abend- und anschließend zum Eis essen in die Stadt. Der darauf folgende „Absacker“ an Bord dauerte bis über Mitternacht. Wir hatten uns viel zu erzählen und langsam wurde mein Frust von Urlaubsstimmung übertönt.

Samstag, der 17. September 2022, 08:00 Uhr

Stahlblauer Himmel, Sonne, Luftdruck 996hPa, 32 Grad   

Obwohl ich im Salon schlafe, hat mein vorab angekündigtes Schnarchen niemanden gestört. Vieleicht weil hie und da auch leichtes Röcheln aus den anderen Kabinen drang. Um 08:00 Uhr kommt langsam Leben ins Boot. Zum Glück sind diesmal keine Frühaufsteher dabei, die sich schon vor Sonnenaufgang am Oberdeck zu schaffen machen.

Wir hatten vereinbart das Segelabenteuer langsam anzugehen. So bleiben wir heute noch in der Marina. Gewöhnen uns ans Bordleben, erkunden die Umgebung, gehen einkaufen und erledigen Restarbeiten an Bord. Dinghi aufblasen, Außenborder und Heckleinen-Rolle anbringen, Wasser bunkern usw. usw.. Doch zuvor ist erst mal das obligatorische türkische Frühstück angesagt. Unter Deck läuft den halben Tag der Ventilator, da die 32 Grad ohne ein Lüftchen ansonsten unerträglich sind.

Am Abend, als alles erledigt und das Boot abfahrbereit war, ging es noch mal in die Stadt ins Sempathi, eines meiner Stammlokale. Auch an der Oxygen-Bar in der Marina war kein Vorbeikommen.

Sonntag, der 18. September 2022, 08:00 Uhr

Sonne und leichte Bewölkung, Luftdruck 995hPa LOG 23246 NM, Motor 2146,4 Std.

Jetzt wird es aber Zeit los zu fahren. Das Frühstück beschränkt sich auf eine Tasse Pulverkaffee. Noch frisches Brot bunkern und um 10:00 Uhr machen wir die Leinen los. Der Ableger läuft wie am Schnürchen. Ich bin stolz auf meine Einweisungskünste. Aber auch auf die Auffassungsgabe der Crew. Unter Motor geht es ums Kap, dann Richtung Osten. Gegen 12:00 Uhr haben wir unser Tagesziel voraus. Eigentlich viel zu früh um schon wieder zu Ankern. Die Crew ist noch absolut fit und wir entscheiden bis Kekova weiter zu fahren. Nach der Durchfahrt bei der Insel Ić Ada Adasi machen wir unsere ersten Segelversuche. Auch hier klappt alles perfekt. Vielleicht hätte ich mir im Vorfeld gar keine so großen Sorgen machen müssen.

Nach der Einfahrt nach Kekova biegen wir links ab, Richtung Polemos Bükü. Der Düseneffekt in der Bucht ist wieder enorm. Aber bekanntlich hält der Ankergrund gut. Das zeigt auch der eingerichtete GPS-Ankeralarm. MERLIN tänzelt wie gewohnt sehr schwungvoll um die Ankerkette, aber wir bewegen uns, trotz der 28kt. Wind, nicht von der Stelle. Motor aus, Gasherd an! Bei Puten Cordon Bleu, Salzkartoffeln und Melonen-Schafskäse-Salat genieße ich es, dass mal wieder zwei Mädls an Bord agieren.

Gegen 20:00 Uhr lässt der Wind nach. Ein kurzweiliges Kartenspiel dominiert den Abend. Aber letztendlich sitzen wir dann doch alle an Deck und bewundern den überwältigenden Sternenhimmel. Das sind die Abende die das Segeln so besonders machen.

Montag, der 19. September 2022. 08:30 Uhr    

Sonne und leichte Bewölkung, Luftdruck 995hPa LOG 23246 NM, Motor 2150,7 Std.

Nachdem der Wind immer erst am Nachmittag einsetzt, gehen wir den Tag etwas ruhiger an. Die vorgeschlagene Wanderung zur versunkenen Lykischen Stadt wird mehrheitlich abgewählt. Dafür gibt es ein ausgiebiges Frühstück, mehrere Runden im Wasser ums Boot und ein Sonnenbad. Beim Tauchen stelle ich fest, dass praktisch kein Algenansatz am Unterwasserschiff ist. Die teure Copper Coat Beschichtung hat sich also gelohnt. Wir montieren den vergessenen Geschwindigkeits-Sensor um endlich Fahrtanzeige, Fahrstrecke und den scheinbaren Wind ablesen zu können. Eine Zeit lang bilden sich einige Tropfen um den Sensor. Irgendwann ist er dann aber dicht geworden.

Gegen 12:30 holen wir den Anker auf und verlassen die Kekova-Bucht. Draußen herrscht optimales Segelwetter. Wenig Welle, 8 bis 12kt Wind. Wir kreuzen, halsen, fahren Schmetterling, das volle Programm und genießen den herrlichen Segeltag.

Captain Andi

Gegen 15:30 Uhr dampfen wir in die Bucht, die Ingrid damals als Karibik-Bucht bezeichnete. Das Wasser ist immer noch türkiesblau. Aber im Gegensatz zu damals, als wir hier alleine ankerten, zählte Andrea diesmal 26 Boote. Unter Anderem Gullets mit ohrenbetäubenden Lautsprecheranlagen. Die Crew leistete sich ein Bad im herrlichen Wasser, während ich darauf aufpasste, dass keiner seinen Anker über meine Kette legt. Mir ist das zu viel Trubel. Nichts wie weg hier!

Wir runden noch die kleine Insel mit der rückgebauten Taverne, der gekappten Stromleitung und der spektakulären Höhle und nehmen Kurs Richtung Ügacik. Es entflammt eine lange Diskussion, warum das Adventure Packet 1 nicht gebucht wurde und deshalb keine Delfine zu erwarten sind.

Hassans Bildergalerie

Gegen 17:00 Uhr ankern wir vor dem Gemeindesteg auf 6 Meter Tiefe mit 50 Meter Kette. Sicherheitshalber und hoffend, dass auch heute der Wind nachts wieder einschläft.

Hassans Tochter holt uns um 19:00 Uhr mit dem neuen Boot ab. Auch wenn es das teuerste Abendessen des Törns wird, so ist es doch immer ein recht netter Abend bei Hassan, seiner Frau und seinen beiden Töchtern. Bei der Rückfahrt passiert der Klassiker und Andrea nimmt unfreiwillig beim umsteigen zwischen den Booten ein Bad. Aber sie ist tapfer und lässt sich ihre Blessuren nicht anmerken. Zum Absacker gibt es Musik von Queen. Der Abend wird wieder endlos lang.   

Dienstag, der 20. September 2022. 09:00 Uhr   

Sonne, Luftdruck 995hPa LOG 23264 NM, Motor 2153,2 Std.

Der Raki gestern war wohl etwas zu viel des Guten. Ein Käffchen zum munter werden. Anker auf um 10:30 Uhr. Wir verlassen Kekova und fahren schon mal ein gutes Stück zurück Richtung Kaş. Der Wind kommt genau gegenan, ergo müssten wir „draußen“ nach der Kursänderung ideale Segelbedingungen vorfinden. Aber genau wie sich unser Kurs ändert, so ändert auch der Wind seine Richtung. Irgendwie kommt mir das bekannt vor. Wir haben die ganze Strecke Gegenwind. Und zum Aufkreuzen ist er noch zu schwach um wirklich vorwärts zu kommen. Er nimmt erst zu, als wir unser Tagesziel bereits erreicht haben. Unter starken Fallböen ankern wir in Ince Burun an gewohnter Stelle auf 11 Meter Tiefe mit 60 Meter Kette. Sicher ist sicher. Der Wind legt abends noch mal deutlich zu und MERLIN beginnt sein Tänzchen. Für uns aber kein Grund nicht noch einmal die angenehmen Wassertemperaturen zu genießen. Anschließend gibt es eine bunte Gemüsepfanne „ohne“ Hähnchenkeulen. Eine Email der Fluggesellschaft reißt uns aus unserem Urlaubsmodus. Wir sollen die Sitzplätze für den bevorstehenden Rückflug buchen.

Der letzte Abend vor Anker wird wieder lang. Im Hintergrund die tausend Lichter der Stadt und über uns der Sternenhimmel. Wie gewohnt lassen irgendwann der Wind und die Böen nach. Es wird noch viel diskutiert, ob eine Nachzahlung für ein nur teilweise erfülltes Adventure Packet notwendig ist. Das Planktonleuchten wird vermisst. Willi ist Krank und der Lämmergeier schreitet zur Tat. Um 01:48 Uhr verlischt das letzte Licht unter Deck. Das Ankerlicht strahlt neben den Sternen noch weiter.

Mittwoch, der 21. September 2022. 0800 Uhr   

Sonne, Luftdruck 992hPa LOG 23282 NM, Motor 2156,6 Std.

Wir machen zeitig los. Der Wetterbericht sagt bereits ab Mittag Starkwind voraus. Die Crew ist zwar mittlerweile ein eingespieltes Team. Trotzdem möchte ich nichts Unnötiges riskieren. Gegen eine lange Restwelle und Gegenwind geht es Richtung Marina. Um 10:30 Uhr sind wir bereit zum anlegen. Einer der Marineros, ein Neuling vermutlich, bekommt unsere Mooringleine in seine Schraube. Wir setzten ohne Hektik ein zweites Manöver an. Aber auch da fängt er sich die Leine ein. Sein Kollege am Steg schlägt die Hände über dem Kopf zusammen. Beim dritten Versuch klappt es endlich. Im Gegensatz flutscht bei uns an Bord das Anlegemanöver optimal. Kein Fehler, kein lautes Wort. Einfach perfekt. Der erwartete Wind setzt etwas später erst ein. Dann aber richtig heftig. Ich bin froh bereits im Hafen zu sein.

Eine kurze, aber spannende Woche geht zu ende. Morgen geht’s für einige zurück ins kalte verregnete Deutschland. Die Crew war optimal. Eigentlich hätte ich mir wirklich keine so großen Gedanken machen müssen.    

LOG 23290 NM, Motor 2158,2 Std.

4 Kommentare

  1. Geiler Bericht, wie immer.

  2. Super Bericht, als wäre man dabei gewesen

  3. Ich würde umsiedeln nach Kroatien.. wie hies es doch „Die spinnen doch die Römer ..äh Türken“ Wie immer hautnah erzählt 🙂

  4. Astreiner Törnbericht in gewohnter Qualität

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